Wie kann man Stromverbraucher*innen zeitgemäss informieren?

Angesichts der Energietransition und der Krisensituation wird das Risiko für Stromunterbrüche in den nächsten Jahren voraussichtlich erhöht bleiben. Darüber informieren die 600+ Schweizer Stromversorger ihre Verbraucher*innen jeweils per Brief, über ihre Website, ihr Kundenportal oder ihre Hotline. Die Verbraucher*innen müssen das lokale Versorgungsunternehmen kennen und sich bei unerwarteten Stromausfälle die entsprechenden Informationen selbst holen.
Dazu wäre es im Falle einer akuten Strommangellage schwierig, die gesamte Bevölkerung über Lastabwürfe rechtzeitig und gezielt zu informieren.
Darum lancierte die Arbeitsgruppe «Energy Data» des Vereins Opendata.ch im vergangenen Herbst das Projekt «Plan E». Das Ziel war, im Krisenfall die Verbraucher*innen über schweizweite, zyklische Netzabschaltungen informieren zu können.

Erste Iteration: Eine Skizze für frühes Feedback

Die Inspiration für «Plan E» ist die App von MeteoSchweiz, die Unwetterwarnungen ausgibt und womit jeder die weitere Wetterentwicklung schweizweit in Echtzeit abrufen kann.

Die erste Idee besteht darin, Stromverbraucher*innen per Push-Benachrichtigung über anstehende Abschaltungen an ihrem Standort zu informieren. Eine mobile App bietet neben gezielten Benachrichtigungen den Vorteil, dass Informationen auch bei einem Internet-Ausfall gespeichert bleiben, solange das Gerät ausreichend aufgeladen ist.

Eine grobe Skizze und einige Folien reichen, um das Feedback eines breiten Kreises von Branchenexperten zu holen. Dank ihnen können wir frühzeitig die grössten Risiken der Idee in Bezug auf Machbarkeit, Nutzen und Wirtschaftlichkeit ermitteln.

Philipp Ditzel, Bereichsleiter Digitalisierung und IT bei den St.Galler Stadtwerken, stellt fest: “Unsere grösste Herausforderung ist die Zusammenführung von Daten aus 70+ unterschiedlichen Quellen mit heterogenen Formaten und variierender Detaillierung. Unser Ziel ist es den Zusatzaufwand für Netzverantwortlichen zur Datenaktualisierung im Krisenfall möglichst gering zu halten, da sie in dieser Situation betrieblich besonders gefordert sein werden.”

Erste Skizze der Idee

Zweite Iteration: In einem einwöchigen Design Sprint vom Problem zum Prototyp

Mit der Unterstützung des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) und des «Innovation Booster» Programms von Swiss Smart Cities gelingt es uns, ein Team für ein intensives «Design Sprint» zusammenbringen.

Über vier Tage arbeiten Branchenvertretern, IT-Spezialisten sowie ein Forscher intensiv zusammen - vom Problemverständnis hin zum Prototyp.

Design Sprints sind aus Design Thinking sowie aus agilen Methoden inspiriert und verlaufen in 6 Phasen:

  • 1) Verstehen: Das Team vertiefte sich in die komplexen Zusammenhänge anhand von Gesprächen mit Branchenexperten und von Beispieldaten, die uns sechs Verteilnetzbetreiber zur Verfügung stellten.
  • 2) Definieren: Wir wählen einen Fokus ohne dabei den Lösungsweg vorwegzunehmen: Wie können wir die verschiedenen Netz-Abschlatpläne zentral abrufbar machen, so dass dabei möglichst wenig Aufwand für die Verteilnetzbetreiber entsteht?
Definitionsphase
  • 3) Divergieren: Wir beenden den ersten Tag mit einem skizzenbasierten Brainstorming und arbeiten dann am Tag 2 einige der Ideen zwischen iterativen Feedback-Runden aus.
«Crazy 8»: skizzenbasiertes Brainstorming
  • 4) Entscheiden: Es kristallisieren sich zwei Lösungsoptionen heraus, um aus Netz-Abschaltpläne Informationen für ein bestimmtes Gebäude herauszulesen - Zwei Gruppen bilden sich entsprechend. Dazu wollen wir mit möglichen Darstellungen für die Stromkund*innen experimentieren, da diese die Anforderungen an die Daten beeinflussen.
Iteratives Skizzieren
  • 5) Prototypisieren: Gegen Ende des zweiten Tages und am Tag 3 gehen wir in die Phase der Prototypenerstellung über. Wir experimentieren mit Datenmodellierung und mit offenen Geodaten, um die Abschaltpläne-Daten anzureichern. Auf der Darstellungsebene entstehen zwei Klick-Prototypen, welche die Oberfläche einer Applikation simulieren. Dazu kommt ein SMS Info-Dienst als Code-Prototyp: er zeigt auf, wie aus der gleichen Datenbasis mehrere Informationskanälen gespeist werden können.

  • 6) Testen: Am vierten Tag testen wir unsere Prototypen mit den Netz-Verantwortlichen der verschiedenen Unternehmen, die Beispieldatensätze beigesteuert haben. Ihr Feedback bestätigt, dass wir mit einfachen Mitteln schon eine beträchtliche Genauigkeit erreichen könnten. Es liefert aber auch wertvolle Hinweise zu noch zu lösenden Spezialfällen. Dazu zeichnen sich interessanterweise zwei weitere Anwendungsfälle ab: als Tool für die Krisenplanung und als Datendrehscheibe für die Kundeninformation bei Stromausfällen in “Normalzeiten”.

Testen unserer Prototypen

Dritte Iteration: Pitchen und MVP Definition

Im Anschluss an das Design Sprint haben wir nun die nötigen Elemente um in einer Reihe von Pitches die notwendigen Mittel für die Implementierung zu beschaffen.

Dabei testen wir zwei verschiedene Varianten als Basis für das sogenannte Minimum Viable Product. Ein MVP ist die einfachste mögliche Version einer Applikation, die bereits Mehrwert für ihre Nutzer generiert.

Nun lassen sich das VSE und bisher 11 mitfinanzierende Verteilnetzbetreiber dafür begeistern, als erster Schritt eine Applikation für Behörden und multi-site Unternehmen zu entwickeln. Diese müssen sich jetzt schon auf eine mögliche Mangellage vorbereiten und ihnen ist der Gesamtblick über einzelne Versorgungsgebiete hinaus besonders wichtig.

In dem wir netzbezogene Daten aller Branchenakteuren zusammenbringen, entsteht eine wertvolle Grundlage für weitere zukünftige Dienste wie z.B. die Information an Verbraucher*innen über alle Arten von Stromausfällen.
Für alle Beteiligten war es sehr inspirierend, in wenigen Monaten über unzählige Organisationsgrenzen hinaus ein gemeinsames Projekt aus dem Boden zu stampfen. Nicola Ruch, Geschäftsentwickler bei der AEW Energie AG, sagt: “Dies ist ein schönes Beispiel dafür, wie Innovation stattfindet: in iterativen Schritten wird eine Idee angegangen und dann so lange revidiert, bis sie zu einem Plan wird, der funktioniert. Hier helfen agile Projektmanagementmethoden, unsere knappen Ressourcen richtig zu priorisieren und sehr nah an den Kundenbedürfnissen zu entwickeln. Es fühlt sich an wie in einem Start-up."

Foto von Alexander Schimmeck auf Unsplash