Das grösste Problem bei digitaler Innovation im Unternehmen besteht darin, dass mit zunehmendem Wachstum den Kontakt zum Endkunden verloren gehen kann.
Am Anfang einer Idee stehen Gründer, die die Probleme der User meist selbst erleben. Dann kommt eine Rechts- und Compliance-Abteilung ins Spiel und mischt sich in diese Beziehung ein. Dann ein Produktmanager. Dann ein strategischer Ausschuss. Dann ein*e UX/Designer*in.
Ohne es zu merken, steht das betreffende Unternehmen eines Tages vor der Einführung (oder einem Redesign) seines digitalen Produkts, das nicht mehr überzeugt. Mit Usern, die sich missverstanden fühlen, für Dinge, die ihnen offensichtlich erscheinen.
Wie kommt man dorthin?
Ganz einfach, weil die Kluft zwischen dem Unternehmen und seinen Kunden*innen in der Unternehmenswelt zu gross geworden ist:
Die Kluft zwischen Unternehmen und Endverbraucher (Danke Luke Wroblewski für das Diagramm.)
Die wirklichen Probleme der User werden interpretiert und moduliert, um den jeweiligen Beschränkung der Projektbeteiligten gerecht zu werden, so floopen die Go-lives. Die Aufregung der Einführung verwandelt sich in einen Alptraum, sobald die Lawine von schlechten Kommentaren im AppStore eintrifft.
Beispiele für Kommentare zu einer App im App-Store
Oder noch schlimmer, wenn das Unternehmen im neuen mobilen funnel, den es stundenlang optimiert hat, keine "conversion" sieht - ausser, dass Kund*innen nicht erreicht werden, weil es zu viele Schritte zwischen Lokalisierungs-Pop-ups, Marketing-Pushes und endlosen Formularen gibt:
Beispiele für Screenshots von Carvelo2go, die User bei der allerersten Benutzung sehen
Leider ist die Benutzer*innenerfahrung dieser mobilen Anwendung bei weitem nicht die einzige, die deise Probleme im Jahr 2020 hat.
Wie lässt sich diese Kluft zwischen dem digitalen Produkt und den Kunden/Endusern verringern?
"Hallo Thomas, ich rufe an, weil wir ein Problem mit unserer App haben. Wir haben eine Menge Workshops durchgeführt, eine Menge Post-its erstellt, Iterationen der agilen Entwicklung durchgeführt, aber es ist der grossee Flop. Die mobile Anwendung funktioniert nicht. Sie wird fast nicht heruntergeladen. Mir wurde gesagt, dass du Workshops zum Thema Lean Startup oder Design Thinking anbietest. Glauben du, dass wir das brauchen?"
Das ist der Wortlaut eines Kunden, der mich kürzlich angerufen hat. Das Team hatte gerade einen Launch einer mobilen Anwendung hinter sich, und die Ergebnisse entsprachen nicht den Erwartungen des Managements.
"Ich habe auch einige Analysen und Ergebnisse aus einigen Online-Umfragen, die wir zu einem früheren Zeitpunkt des Projekts durchgeführt haben, falls dir das zu einem besseren Verständnis des Problems hilft." fuhr er fort.
Meine erste Frage war: "Wann habt ihr das letzte Mal mit den Kund*innen oder Usern gesprochen?"
Etwas überrascht, dass ich die Gelegenheit, ihm eine Fülle von Workshops zu verkaufen, nicht ergriffen habe, antwortete er: "Hmmm... Ich müsste meine UXer fragen, denn die sind derjenigen, die sich darum gekümmert haben. Aber ich würde sagen, ungefähr vor 10 Monaten, in den vorbereitenden Workshops. Warum fragst du?"
Ich antwortete: "Weil wir so viele Methoden anwenden können, wie wir wollen, wenn wir nicht mit den wirklichen Usern sprechen, werden wir blind weitermachen! Und wer kann dir besser sagen, was los ist, als deine Users? "
OK, ich verstehe... ich persönlich verstehe den Wert der Gespräche mit unseren Kund*innen, aber wir müssen unserem Management in sechs Wochen eine auf konkreten Daten basierende Strategie vorlegen, um einen guten Start zu ermöglichen"."
"Deal!" antwortete ich zuversichtlich. Vertrauen, das wir durch die Anwendung unseres Verfahrens bei etwa einem Dutzend Projekten wie dem Unternehmen Urban Connect oder der Online-Coaching-Plattform "The A-Coach" gewonnen haben.
Zwei konkrete Beispiele dafür, Nutzer*innen in den Mittelpunkt jeder Entscheidung zu stellen
Urban Connect mit den renommierten Kund*innen wie Hilti und Roche
Judith, CEO und Gründerin von Urban Connect, kam zu uns, um eine technische und UX-Lösung für ihr innovatives Produkt zu finden. Ihr Unternehmen vermietet Flotten von E-Bikes, E-Rollern und Elektroautos an grosse Unternehmen wie Hilti und Roche.
Wir organisierten mehrere Meetings, in denen wir in das Leben der Kund*innen (insbesondere Google Zürich) eintauchten und den beteiligten Personen vom Büro, wo dwo sie ein E-Bike buchen wollten, zum Lift ohne Internetverbindung und dann in den Keller folgten, wo wir das besagte E-Bike unter etwa hunderten finden mussten.
Wir hätten genauso viele fiktive "User journeys" an unseren schönen weissen Wänden mit Judith malen können. Aber wir hätten den Stress, pünktlich in einem Meeting zu sein, nicht selbst erlebt. Auch nicht den Stress, zu wissen, ob sich das Bluetooth-Schloss des Fahrrads ohne 4G-Netz mitten im Wald öffnet.
Beispiel für die Entwicklung einer App von Liip: Urban Connect
Dieses Eintauchen in die reale Welt lieferte uns konkrete Daten, wenn wir unsere Entscheidungen für mobile UX erklären mussten. So haben wir uns beispielsweise entschieden, beim ersten Öffnen der App keinen Onboarding-Bildschirm zu erstellen, weil die User so schnell wie möglich zum echten Mehrwert der mobilen Anwendung gelangen wollen und deshalb verzweifelt auf "Skip" klicken.
Urban Connect geht in Bezug auf die Benutzer*innenerfahrung sogar noch einen Schritt weiter: Sie stellen ihren eigenen Mitarbeitenden einen Dienst zur Verfügung, so dass diese die Probleme der User selbst erfahren.
Nur wenige Unternehmen können sich eines solchen Eintauchens rühmen...
Und es ist jedes Mal dasselbe Szenario, wenn wir uns mit einem neuen Unternehmen treffen, das an einer nachhaltigen Flotte interessiert ist: Interessent*innen werden überzeugt, weil sie den Eindruck haben, dass wir ihnen die Worte aus dem Mund nehmen, weil ihre Probleme so genau wie möglich angesprochen werden.
The A-Coach
Shari, eine ehemalige Personalmanagerin aus der Unternehmenswelt, kam mit einer Idee zu uns. Sie wollte eine Online-Coaching-Plattform schaffen. Sie dachte in grossen Dimensionen und weit voraus. Und hatte bereits jede Menge Funktionen im Sinn.
Während dem Zuhören dachte der Ingenieur in mir bereits an eine Fülle von technischen Hilfsmitteln, die wir einführen könnten. Mein Kollege UXer Jérémie seinerseits visualisierte bereits viele Wireframes und Designs.
Das Projekt, das wir uns vorstellten, war mehrere hunderttausend Franken wert, mit vielen innovativen Merkmalen aus technischer Sicht.
Aber da wir uns unserer beruflichen Vorurteile bewusst waren, gingen wir einen Schritt zurück und schlugen einen objektiven Prozess vor, um die Geschäftshypothese von Shari zu testen: Rede mit echten potenziellen Kund*innen, und baue nichts, bis ein Vertrag unterzeichnet ist.
Das haben wir gemacht.
Das Ergebnis unseres funktionalen MVP "Der A-Trainer" in weniger als einer Woche implementiert
Während etwa 20 Interviews mit typischen Kund*innen passte Shari ihr Geschäftsmodell so lange an, bis sie unter ihren Interessent*innen ein *"Wenn du eine Lösung für dieses Problem hast, will ich es zuerst erfahren!
Mit diesen Informationen aus der Praxis bewaffnet, haben wir einen hochauflösenden, klickbaren Prototypen gebaut. Dann wandten wir uns wieder an zwei Interessent*innen, die beide unterschrieben hatten, bevor wir überhaupt etwas gebaut hatten.
Nach der Auslieferung konnten diese beiden neuen Kund*innen, Unternehmen mit mehreren tausend Mitarbeitenden, von der Nutzung der Plattform überzeugen. Es scheint offensichtlich, das sich die Mitarbeitenden anmelden sobald sie den klickbaren Prototypen sahen. Es ist genau dieser Prozess der Erstellung einer digitalen Anwendung, der das Spiel verändert.
Fazit (und eine Übung)
Genauso wie du plötzlich aus einer ganzen Liste auf Netflix auf den Trailer der Serie stösst, müssen deine Kund*innen den Mehrwert deines Produktes von den ersten Sekunden der Nutzung an erkennen.
Die einzige Möglichkeit, dies bei der Entwicklung einer App oder einer Webanwendung zu erreichen, besteht darin, jede Woche mit deinen Usern zu sprechen, und zwar vom ersten Tag an, an dem die Idee entsteht, und solange dein Produkt online ist. Und wir meinen, dass du mit deinen Kund*innen "wirklich reden" sollst, nicht nur die Statistiken von Google Analytics ansehen!
Dabei wird dein neues Motto lauten: "Liebe das Problem, nicht deine Lösung". Denn das Ziel ist es, Probleme zu finden, die es wert sind, gelöst zu werden. Und dann nach einer Methode suchen, um dies zu erreichen. Und nicht andersherum.
Eine kleine praktische Übung für dich - liebe*r Leser*in: Vereinbare diese Woche einen Termin mit einem/r Kund*in oder User und bitte ihn darum, zusehen zu dürfen, wie dein Produkt, idealerweise im natürlichen Umfeld verwendet wird. Ich denke, du wirst überrascht sein, wie viel du lernst.