Von einem etablierten, aber sehr komplizierten und langsamen Prozess 


In diesem Artikel möchten wir ĂŒber die Invalidenversicherung (IV) sprechen. Das Fachgebiet der Sozialmedizin ist sehr sensibel in Bezug auf den Datenschutz. Daher hinkt man bei der Digitalisierung vom Austausch medizinischer Angaben oft hinterher. Die Verwaltung und der Austausch der Arztberichte zwischen Ärzt·innen und den kantonalen Stellen erfolgten deshalb bisher ausschliesslich auf Papier. Die Ärzt·innen erhielten Formulare, die sie ausfĂŒllen und anschliessend per Post zur Bearbeitung an die zustĂ€ndige IV-Stelle senden mussten. Bis der Bericht fertiggestellt werden konnte, mussten die Dokumente manchmal mehrmals hin- und hergeschickt werden, was den ganzen Vorgang verzögerte. Leidtragende waren letztendlich die zukĂŒnftigen IV-BezĂŒger·innen, deren AntrĂ€ge sich dadurch in die LĂ€nge zogen. Es war also höchste Zeit, dieses Vorgehen zu Ă€ndern.

Die IV-Stelle des Kantons Waadt ergriff deshalb die Initiative und startete mit UnterstĂŒtzung des Bundesamts fĂŒr Sozialversicherungen (BSV) ein Pilotprojekt zur Erstellung einer Online-Plattform. Auch die IV-Stellen der Kantone Freiburg und Neuenburg waren in das Projekt eingebunden. Wir durften diese Digitalisierungsinitiative glĂŒcklicherweise seit Beginn des Projekts im Jahr 2021 begleiten. Damals wurde im Rahmen eines Vorprojekts ermittelt, dass die Ärzteschaft eine Online-Plattform benötigt. ZunĂ€chst analysierten wir den bestehenden Prozess und die vorhandene IT-Infrastruktur. Wir fĂŒhrten zudem Interviews und Prototypentests mit den beteiligten Akteur·innen, Ärzt·innen und Sachbearbeiter·innen durch, um ein klares Bild der NutzungsbedĂŒrfnisse zu erhalten. Nach einer öffentlichen Ausschreibung im Jahr 2023 starteten die UX-Arbeiten bereits im September desselben Jahres. Die Entwicklungsphase begann dann 2024. ‹‹

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 zu einem Online-Tool, das den User·innen das Leben erleichtert

Dieses Projekt stellte uns vor besondere Herausforderungen, insbesondere was den Schutz der hochsensiblen Daten und das Fehlen bestehender praxistauglicher Lösungen betraf. Daher entschieden wir uns fĂŒr eine massgeschneiderte Lösung, die auf den Entwicklungstechnologien Python, Django und Vue.js basiert. Dadurch behielten wir jederzeit die Kontrolle ĂŒber das Projekt und dessen Entwicklungen. Word-Dateien ersetzten wir durch einen Generator fĂŒr Standardformulare, der die spezifischen Prozessanforderungen erfĂŒllt – beispielsweise in Bezug auf Datumsformate, AnhĂ€nge oder exklusive Zugriffsrechte fĂŒr Sachbearbeiter·innen. In Bezug auf die Vertraulichkeit entschieden wir uns fĂŒr eine Zusammenarbeit mit Redguard. Das auf Informationssicherheit spezialisierte Unternehmen konnte sicherstellen, dass alle Sicherheits- und Datenschutzaspekte vollumfĂ€nglich erfĂŒllt wurden. Eines der zentralen Elemente in diesem Prozess ist die Identifikation der User·innen ĂŒber den IdentitĂ€tsanbieter HIN (Health Info Net), der im Gesundheitswesen hĂ€ufig genutzt wird.

Diese Online-Plattform ist Teil einer bestehenden IT-Umgebung. Eine der Herausforderungen bestand daher darin, unser Tool nahtlos in die bestehende Infrastruktur zu integrieren. Die Tatsache, dass es mit dem internen Business-Tool der IV-Stellen interagieren muss, war ein weiterer Grund, eine massgeschneiderte Lösung zu entwickeln. FĂŒr die Implementierung der APIs, welche die Kommunikation zwischen den Tools ermöglichen, arbeiteten wir eng mit dem Verein GILAI zusammen, der das Business-Tool entwickelt hat und auch pflegt. Dadurch ist es möglich, die erforderlichen Patientendaten zu empfangen und die Arztberichte im PDF-Format zurĂŒckzusenden (eine Voraussetzung fĂŒr die Nutzung ihres Tools fĂŒr elektronisches Dokumentenmanagement). Massgeschneiderte Entwicklung bedeutet jedoch nicht, das Rad neu zu erfinden, sondern einen pragmatischen Ansatz zur Integration bewĂ€hrter Tools zu verfolgen.

Dank diesem Pilotprojekt werden wir letztendlich in der Lage sein, eine Lösung anzubieten, die von verschiedenen kantonalen Stellen und Ärzt·innen in der ganzen Schweiz genutzt werden kann.‹‹Die erste Version der Plattform MedIV ist bereits online und interessierte Ärzt·innen können schon jetzt ein Konto erstellen und mit dem AusfĂŒllen der Formulare fĂŒr ihren ersten Bericht beginnen. Sobald sie ihr Konto erstellt haben, ist Schluss mit der Papierpost. Die Ärzt·innen erhalten ihre Arztberichte ab diesem Zeitpunkt automatisch in digitaler Form. In einem zweiten Schritt wird diese Art der Prozessverwaltung dank der Schnittstelle auch bei institutionellen Einrichtungen, SpitĂ€lern und medizinischen Zentren möglich sein.

Die ersten Feedbacks waren sehr positiv, da das neue Tool sowohl den Erwartungen der Ärzt·innen als auch denen der kantonalen Stellen, die dessen Entwicklung initiiert haben und dafĂŒr verantwortlich sind, entspricht. Dank der hervorragenden Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten und einem agilen Ansatz konnten wir eine knappe Frist einhalten und die erste Version bereits ein Jahr nach Beginn der Arbeiten online stellen.

Mit MedIV wird das Empfangen, Verfassen und Aktualisieren von Arztberichten sowie das Bereitstellen von AnhĂ€ngen zum Kinderspiel. Und das alles mit garantiertem Datenschutz und einer schnelleren Bearbeitung der AntrĂ€ge der IV-BezĂŒger·innen. An diesem Beispiel zeigt sich, dass die Digitalisierung fĂŒr alle, die mit der Invalidenversicherung zu tun haben, ein echter Fortschritt ist.